Miet-Jobber bei IBM: Ausbeutung oder neue Freiheit?

von Steffen Greschner am 7. März 2012

Als der Spiegel Anfang Februar über die Miet-Jobber bei IBM berichtete, war die Aufregung groß: von der “neuen Arschlochvariante: Rent a Depp” war schnell bei vielen die Rede.

Die Nachdenkseiten gingen einen Schritt weiter und sehen in dem Modell, Spezialisten nach Bedarf zu buchen und nur noch die Organisationsebene fest anzustellen, eine neue Dimension der (negativen) Arbeitsorganisation:

Das ist modernes Taglöhnertum auf Basis von Cloud-Computing und facebook. Die kapitalistischen Unternehmen wollen sich endgültig jeglicher Verantwortung für die eingekaufte und verwertete Arbeitskraft entledigen. Eine interessante Frage wäre auch die Auswirkung auf das gesamte System sozialer Sicherung, wenn eine kontinuierliche Erwerbsbiographie nicht mehr möglich ist?
Man sollte also vor dem Hintergrund des Wütens der Finanzindustrie nicht die Veränderungen in der sogenannten wertschaffenden Industrie vergessen. Auch hier geht es “nur” um Profitmaximierung auf Kosten der Menschen.

Ein Modell, wie das von IBM vorgeschlagene, bietet allerdings auch neue Möglichkeiten: flexible Lebensplanung nicht nur durch zwei Stunden Gleitzeit am Morgen, sondern durch freie Zeiteinteilung über das komplettes Jahr gesehen.

Durch solche Modelle könnte sich ein aktiver Markt für IBM-Spezialisten bilden, die bisher kaum die Chance hatten, flexibel zu arbeiten: Vollzeit oder garnicht. Die Alternative auf Einkommen zu verzichten und im Gegenzug mehr private Zeit zu bekommen, gab es dagegen selten.

Im HPO20.com Blog ist eine interessante Gegenmeinung zu lesen, die sich mehr auf die Vorteile konzentriert, die das IBM Modell bieten kann:

  • Vorteil IBM: flexible Beschäftigungsverhältnisse, Variabilisierung von Fixkosten, und natürlich stärkere internationale Konkurrenz unter den “Mitarbeitern”.
  • Vorteil Mitarbeiter: transparenterer Jobmarkt, mehr Eigenverantwortung und -bestimmung, anfangs wahrscheinlich auch höhere Vergütung.
  • Nachteil Mitarbeiter: s. die unzähligen Kommentare auf Spiegel Online.

Eine logische Entwicklung, für die vieles spricht. IBM’s Experten sind schon heute überwiegend in Projekten beim Kunden eingesetzt, sehen ihre “People Manager” oft nur alle paar Wochen und orientieren sich stark am Feedback ihrer Peers, zumeist eine Online Community of Practice.

Viele wollen (müssen) nach einigen Jahren full power entweder zurückschalten, das Unternehmen wechseln oder zuerst noch ein Sabbatical nehmen. Daher sollte dieses neue Arbeitsmodell den Bedürfnissen nach individuellerer Lebensplanung auch besser entsprechen.

Noch ist überhaupt nicht klar, wie IBM die “Miet-Jobber” bezahlen möchte. Man kann aber davon ausgehen, dass es nicht im Interesse von IBM ist, die “Spezialisten”, die man durch diese Variante finden möchte, durch Dumpinglöhne aus dem Billigsektor zu rekrutieren.

Vielmehr sollte das Interesse sein, einen festen Stamm an guten Leuten aufzubauen, die flexibel eingesetzt werden können. Flexibel aus Sicht von IBM aber auch aus Sicht der Mitarbeiter.

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