Suchen ist der eigentliche Job der Piraten im Parlament

von Steffen Greschner am 27. Oktober 2011

Ich mag das Internet, ich mag die Piraten und ich verstehe mich als Teil der bewegten Mitte, dem nicht viel an alten Strukturen liegt. Trotzdem gibt es für mich wichtigere Themen als das Netz und vor allem wichtigeres als reine Netzpolitik.

Um eines gleich vorweg zu schicken: Für mich sind die Piraten keine Netzpartei. Ich bin noch nicht mal sauer, sauer, sauer, sauer, sauer, weil die Piraten nicht von Interview zu Interview hüpfen und gebetsmühlenartig einen (berechtigten)Bundestrojaner-Rücktritt nach dem anderen fordern. Mich freut es sogar, dass sie nicht unentwegt die Meinung der Netzgemeinde verkünden.

Das Netz ist für mich ein, zugegebenermaßen wichtiger Teil meines Lebens und dieser Teil wird von den etablierten Parteien leider nicht verstanden. Aber ich wähle keine Partei, nur um diesen einen Teil meines Lebens vertreten zu sehen. Ich wähle, weil ich mir erhoffe, dass sich anschließend jemand für möglichst viele meiner Interessen einsetzt.

Diesen Interessen kommen die Piraten momentan noch nicht mal sonderlich nahe – aber sie sind die Einzigen, denen ich abnehme, dass sie das Neue einfach mal ausprobieren. Etwas von dem ich selbst noch nicht genau weiß, was ich davon erwarte.

Mir gefällt, wie die Piraten Politik machen. Auch und gerade, weil da unterschiedliche Meinungen rauskommen, wie ein Berliner Piraten-Abgeordneter heute amüsiert feststellt:

Das bei den etablierten Parteien mit Programm abschätzig von Abweichlern die Rede ist, sobald 237 (CDU)Menschen nicht bei jedem Thema dem Häuptling folgen… – das hat für mich nichts mit Programm, sondern mit Realitätsverlust zu tun. Ich wünsche mir mit den Piraten jemanden, der mit ganz normalem Menschenverstand in unseren Parlamenten sitzt und vernünftige Entscheidungen, nach dem berühmten besten Wissen und Gewissen, trifft.

Wenn aus der von mir gewählten Partei mal hundert der einen Meinung sind und hundert einer anderen – who cares? Das ist das Leben. Programm hin. Programm her.

Das Argument des fehlenden Programms kann ich darum nicht verstehen: Ich bin mir sogar sicher, dass gerade wegen des fehlenden Programmes gute 10%, ebenfalls Suchende, den Piraten ihre Stimme geben würden. Ich erhoffe mir von den Piraten keine Steuerreform, sondern Menschen, die sich über neue Formen der Beteiligung Gedanken machen. Gerne mit etwas Spaß bei der Sache und gerne auch mit dem Internet als Hilfsmittel. Weil ich daran glaube, dass wir neue Formen der Politik und der Teilhabe dringend brauchen, bin ich in dem Punkt absolut einer Meinung mit den Piraten: “Wir sind Forscher, keine Ideologen“:

Vielleicht ist es ganz gut, dass die Piraten noch so unerfahren sind. Die Nützlichkeit einer Gebrauchsanleitung testet man auch am besten an Menschen, die das System noch nicht kennen. Vielleicht werden den Piraten Ungereimtheiten auffallen, die ein Politprofi längst nicht mehr in Frage stellt. Es gibt keine Lösungen ohne die richtigen Fragen. Und darum sind wir hier. Um sie zu stellen sind wir hier. Um uns zuzuhören sind wir hier. Um zu diskutieren sind wir hier.

Wir wollen nicht mehr stillsitzen in unserm Biotop. Wir wollen die Freiheit und die Teilhabe, die Mitbestimmung und die Transparenz nicht mehr beschränkt sehen auf das Internet. Wir wollen mehr, wir wollen es jetzt und wir wollen es genau hier: nämlich im richtigen Leben.

Und noch etwas haben die Piraten passend gesagt:

Liquid Democracy ist das Programm, oder besser gesagt das Betriebsystem.

Um das Betriebssystem zu entwickeln, dürfen die Jungs und Mädels und das Mädchen von mir aus gerne mit einem parlamentarisch begründetem, bedingungslosen Grundeinkommen die nächsten Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus sitzen und ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren. Mal schauen, ob dabei das raus kommt, von dem 10% heute schon spüren, dass sie es suchen – ohne genau zu wissen, was sie eigentlich wollen.

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